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Beitrags Sprache: Deutsch
Unter-Überschrift: Die Justizreform am Beispiel des Restrukturierungsrechts
Lesezeit 5 Min.
Beitrags Kategorie: Justizreform
Beitrags Art: Aufsatz
Farbe: Blau
Tom Braegelmann
General Counsel, Leverton

Der deutsche und der europäische Gesetzgeber treiben die Digitalisierung immer weiterer Bereiche des Justizwesens voran: Nicht mittels einer einzigen, umfassenden Reform, sondern durch eine Vielzahl von Gesetzen, Gesetzesvorschlägen und Konsultationen. Offensichtlich gibt es viel Unzufriedenheit mit den bisherigen, als ineffizient und langwierig empfundenen Vorgängen.


 

 

Einleitung

Ob das Justizwesen nun im Zuge der Digitalisierung schneller, besser und gar gerechter (für wen?) wird, ist zu hoffen, bleibt abzuwarten. Die Frage ist jedenfalls nicht mehr, ob das Justizwesen digitalisiert wird, sondern nur noch, inwieweit hierdurch auch eine Transformation – for better or worse – zu einer „neuen Justiz“ gelingt. Manche Länder sind weiter als Deutschland. So ist der elektronische Rechtsverkehr in Österreich seit 1999 fest etabliert und stabil, im Vereinigten Königreich gibt es sehr konkrete Absichten, ein Onlinegericht einzuführen, und im U.S.-amerikanischen Prozess ist die elektronische Online-Akte vor den Bundesgerichten seit über einem Jahrzehnt Standard, auch und insbesondere im Bankruptcy Law.

Wesentliche Rechtsgebiete des Wirtschaftsrechtswerden an vielerlei Stellen gleichzeitig digitalisiert, soweit sie das Justizwesen betreffen, auch wenn noch keine übergreifende Digitalisierungsstrategie erkennbar ist. Das geschieht auch im Restrukturierungsrecht mit seinen zahlreichen gesellschafts-, steuer- und insolvenzrechtlichen Bezügen, in dem es um erhebliche Vermögenswerte geht. Das Restrukturierungsrecht hat sich zu einem erheblichen Wirtschaftsfaktor entwickelt (vgl. Paulus, ZIP, 2017, 910), da es in wirtschaftsrechtlichen Transaktionen von wesentlicher Bedeutung ist, wie schnell im Fall des Falles eine gerichtliche, außer- bzw. vorgerichtliche Restrukturierungslösung möglich ist. Wenn nun auch dieses Rechtsgebiet durch Digitalisierung transformiert wird, wird sich dies auch ganz grundlegend auf das allgemeine Wirtschaftsrecht auswirken. Die Reiseroute des Restrukturierungs-bzw. Insolvenzrechts in Richtung e-Justice soll deshalb im Folgenden skizziert werden.

 

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Die Digitalisierung der Restrukturierung als Beispiel

Der digitale Zustand des deutschen Restrukturierungsrecht bietet bisher ein gemischtes Bild. So hat der BGH festgestellt (BGH, Beschl. v. 10.10.2013 − IX ZB 229/11), dass die „irreführende Gestaltung der Abfragemaske“ der bundesweiten Justizplattform „www.insolvenzbekanntmachungen.de“ übermäßigen Bedienungsaufwand erfordert und somit keinen verlässlichen und einfach zu handhabenden Zugang zu den Veröffentlichungen der Insolvenzgerichte ermöglicht. Das ist eine niederschmetternde Aussage für ein staatliches Onlineangebot, und dennoch wurde es vom Gesetzgeber seitdem nicht verbessert.

Andererseits ist die Restrukturierungspraxis, allen voran die Insolvenzverwalter, schon seit langem in der Lage, mittels robuster Softwarelösungen Großverfahren wie etwa Prokon und AirBerlin mit einer Vielzahl an Beteiligten durchzuführen.

Hinzu kommen systematische Modernisierungsansätze wie zum Beispiel des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) unter dem Stichwort „Insolvenzverfahren 4.0“ (vgl. Niering, INDat Report 04_2016), der u.a. moniert, dass die Insolvenzverfahrensabläufe sich immer noch an der Konkursordnung von 1877 orientieren und nicht zeitgemäße Zustelllungen, Berichterstattungspflichten, Forderungsanmeldungen und die Führung der Insolvenztabelle unnötig viele Ressourcen beanspruchen. Das erste Treffen der Arbeitsgruppe „Insolvenzverfahren 4.0“ hat dann auch Ende 2017 mit staatlicher Beteiligung stattgefunden und man darf auf die Ergebnisse gespannt sein.

Der derzeitige Zustand des Insolvenzverfahrens ermöglicht noch keine effektive Teilhabe aller Beteiligten. So können Gläubigerversammlungen immer noch nicht online durchgeführt werden, Informationen im Verfahren werden nicht elektronisch zugestellt, und weder die Insolvenzverfahrensakte noch die gesamte Insolvenztabelle sind online unmittelbar einsehbar. Das ist in anderen Ländern seit langem üblich und sollte daher auch in Deutschland möglich sein - selbstverständlich mit einer Diskussion über das Verhältnis zwischen einemhohen Datenschutzniveau und den berechtigten Erfordernissen des Insolvenz- und Restrukturierungsrecht. 

a) Elektronische Gerichtsakte bald auch im Insolvenzverfahren

Jüngst hat der Gesetzgeber gehandelt und dabei ohne große Diskussion auch die Digitalisierung des Insolvenzverfahrens weiter angeschoben: Das im Mai 2017 verabschiedete „Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs“ (Gesetz vom 05.07.2017 - Bundesgesetzblatt Teil I 2017 Nr. 45 12.07.2017 S. 2208) tritt am 1. Januar 2018 in Kraft. Spätestens ab dem Jahr 2026 wird die ZPO voll auf die elektronische Akte umstellen - samt Online-Akteneinsichtsportal, . Über § 4 InsO ist auch das deutsche Insolvenzverfahren davon betroffen.

Interessant ist, dass Akteneinsicht gemäß dem neuen § 299 Abs. 3 S. 1 ZPO wie folgt gewährt werden soll: „Werden die Prozessakten elektronisch geführt, gewährt die Geschäftsstelle Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf.“ Dies soll kostenlos geschehen. Das wird das deutsche Insolvenzverfahrensrecht im internationalen Vergleich bereits moderner erscheinen lassen. Derzeit stößt es gerade bei internationalen Akteuren auf Unverständnis, dass die Insolvenzverfahrensakte, wenn denn ein berechtigter Anspruch auf Akteneinsicht besteht, nicht unmittelbar online eingesehen werden kann, sondern nur langwierig per Kopie- oder Aktenversand oder bei der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts.

Hinzu kommt für den Bereich der öffentlichen Verwaltung, dass bald ein Online-Akteneinsichtsportal kommt (vgl. die im Sommer 2017 neu eingeführten Regelungen in Art. 91c Abs. 5 GG zum „übergreifenden informationstechnische Zugang zu den Verwaltungsleistungen“ und das Onlinezugangsverbesserungsgesetz – OZG), wonach spätestens in fünf Jahren Bund und Länder alle ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anbieten müssen. Inwieweit sich dies auch entsprechend für öffentlich bestellte Verwalter als Vorbild eignet (oder warum nicht), wird auch noch zu diskutieren sein.

Mit der elektronischen Insolvenzakte oder einem ganz digitalisierten Insolvenzverfahren werden allerdings auch neue Datenspuren erzeugt, die Begehrlichkeiten wecken werden. Daher ist gerade in einem so wirtschaftlich relevanten Gebiet wie dem Restrukturierungs- und Insolvenzrecht, in dem der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen besonders wichtig ist, darauf zu achten, dass diese Datenspuren nicht rechtswidrig benutzt werden. Die Betroffenen werden etwa wissen wollen, wer Einsicht in die Insolvenzverfahrensakten genommen hat oder benachrichtigt wurde.

Erforderlich ist auch ein Schutz vor den Gefahren der „Legal Analytics“: Für die Unabhängigkeit der Insolvenzrichter muss etwa gewährleistet sein, dass sich aus den verfügbaren Daten, zum Beispiel wie oft ein Insolvenzrichter die jeweilige Insolvenzakte geöffnet und damit gearbeitet hat, nicht ableiten lässt, wie viel Aufmerksamkeit ein Insolvenzrichter dem jeweiligen Verfahren schenkt oder eben nicht. Andere Daten, die dann verfügbar sein werden, sind sensibel, weil sie zeigen, wie häufig Insolvenzgericht und bestimmte Beteiligte miteinander kommunizieren, welche Insolvenzquoten und Verfahrenserledigungen jemand verfahrensübergreifend und deutschlandweit erzielt, etc.. Der Zugriff auf diese Daten und deren Auswertung muss geregelt bzw. begrenzt sein. Ein Mittel dafür wäre es, dass die Gerichte diese Daten in einer eigenen IT-Struktur vorhalten und nicht der Exekutiven überlassen.

 

b) EU-Vorschlag über präventive Restrukturierungsrahmen

Die EU hat im November 2016 den Entwurf einer Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und vorgelegt. Es ist derzeit zu erwarten, dass nach den umfassenden Rückmeldungen aus Wissenschaft, Politik und Praxis im Jahr 2018 dazu ein EU-Gesetzgebungsverfahren durchgeführt wird. Interessant ist daran u.a. Art 3 Abs. 1 des Entwurfs: 

Frühwarnung

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Schuldner und Unternehmer Zugang zu Frühwarnsystemen haben, die eine Verschlechterung der Geschäftsentwicklung erkennen können und dem Schuldner oder dem Unternehmer signalisieren, dass dringend gehandelt werden muss.

  

Der Begründung zufolge sollen diese Frühwarnsystem dazu führen, dass mehr Restrukturierungen frühzeitig eingeleitet werden: „Zu den möglichen Frühwarnmechanismen sollten Buchführungs- und Überwachungspflichten des Schuldners oder der Geschäftsleitung des Schuldners sowie Berichtspflichten im Rahmen von Kreditverträgen gehören. Darüber hinaus könnten für Dritte, die über relevante Informationen verfügen, zum Beispiel Wirtschaftsprüfer, Steuerbehörden oder Sozialversicherungsträger, nach nationalem Recht Anreize oder Pflichten geschaffen werden, auf negative Entwicklungen aufmerksam zu machen.“

Diese Vorschrift ist zurecht technikneutral formuliert. Es ist jedoch offenkundig, dass ein solches finanzielles Frühwarnsystem in der heutigen Zeit nur noch digital funktionieren kann, wenn es schnell und effizient sein soll. Das kann nur gelingen, wenn dafür auch die entsprechenden Daten elektronisch und in hoher Qualität vorliegen und die Finanzsoftware der Unternehmen entsprechende Schnittstellen aufweist. Vorstellbar wären etwa Systeme, die selbstständig Warnungen an die Geschäftsleitung herausgeben, wenn eine Liquiditätskrise oder -lücke droht. Ebenso müsste es weitreichend ermöglicht werden, dass die Verletzung von wichtigen Bedingungen in Darlehensverträgen (Covenants, Mindestumsätze, Liquiditätsreserven etc., Abberufung von Geschäftsführern) den zuständigen Sachbearbeitern bei den Kreditgebern, anderen Stakeholders und gegebenenfalls den Geschäftsführern automatisch mitgeteilt wird - etwa per „computable contract“ oder gar „smart contract“.

Dabei wäre es hilfreich, dass die neue europäische Insolvenzverordnung (Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren) bereits eine Verbesserung, Vernetzung und Digitaliserung der europäischen Insolvenzregister ermöglicht und eine Harmonisierung vorsieht. Bis zur Utopie oder Dystopie (je nachdem wie man das sieht) der computergesteuerten automatischen Insolvenzantragsstellung samt automatischer Auswahl eines Insolvenzverwalters per Algorithmus wäre es auch dann noch sehr weit…

 

c) EU-Konsultation zur Digitalisierung des EU-Gesellschaftsrechts

Die EU hat im Jahr 2017 überdies eine Konsultation zur Digitalisierung des europäischen Gesellschaftsrechts angestoßen (http://ec.europa.eu/newsroom/just/item-detail.cfm?item_id=58190). Im Arbeitsprogramm der Kommission 20171 wurde eine Initiative zum Unternehmensrecht angekündigt, die den Einsatz digitaler Technologien während des Lebenszyklus eines Unternehmens förden soll. Die Ergebnisse werden auch für das Restrukturierungsrecht von erheblicher Relevanz sein. Derzeit scheitern etliche, eigentlich mögliche Restrukturierungslösungen daran, dass die Abläufe im Gesellschaftsrecht noch nicht digitalisiert sind, weil dadurch erhebliche Zeit verloren geht, was gerade in bei einer Unternehmenskrise verheerend sein kann.

In der Konsultation ging es generell um die Verwendung von Online-Instrumenten während des gesamten Lebenszyklus der Unternehmen, wie u.a. an folgenden Statements der EU-Kommission (Hervorhebungen vom Autor) erkennbar ist:

 

The new company law initiative would aim to make the best use of digital solutions in companies' interactions with public authorities but also with companies' shareholders, and to provide efficient rules for cross-border mobility of companies which could include mergers, divisions, conversions and uniform conflict-of-law rules for companies.

We seek your views as to whether current company law rules need to be modernised to ensure that everyone involved in the lifecycle of a company could benefit from digital technologies. We would also like to know which safeguards would be needed to ensure that digital procedures are secure and do not lead to fraud.

Digital tools (such as e-mail, messaging applications, audio and video conferencing software, digital information exchange platforms, electronic signature, blockchain voting facilities) could make the interaction between companies (listed and non-listed) and their shareholders significantly easier. Such tools could reduce costs and improve the efficiency of voting and the exercise of other shareholder rights, in particular in a cross-border context.

 

Insbesondere die gesellschaftsrechtlichen Beurkundungserfordernisse in Deutschland würden unter Druck geraten, wenn die EU zum Ergebnis kommen sollte, dass sie durch äquivalente digitale Lösungen ersetzt werden und das Gesellschaftsrecht ganz ohne Notar oder andere Intermediäre wie Handelsregister etc. auskommen sollen. Das bleibt alles noch abzuwarten. So wie die EU arbeitet, ist jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass nach einer solche Konsultation und der Bewertung der Ergebnisse ein Gesetzgebungsverfahren vorbereitet und durchgeführt wird. Damit ist klar: Bald wird damit begonnen, das Gesellschaftsrecht innerhalb der EU zu digitalisieren.

Ob am Ende auch die Online-Gründung von GmbHs, die eigenhändige Online-Anmeldung zum Handelsregister undsogar eine digitale Abtretung und Verpfändung von GmbH-Gesellschaftsanteilen, vielleicht auch noch ohne Notar und gar samt automatischer Verwertung von verpfändeten GmbH-Gesellschaftsanteilen möglich sein wird, wird sich zeigen. Da dies jedoch alles auch im Rahmen einer Restrukturierung relevant ist, wird die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts auch das Restrukturierungs- und Insolvenzrecht erheblich beschleunigen und transformieren.

 

Bewertung und Ausblick

Das Restrukturierungs- und Insolvenzrecht als eine der Grundlagen des Wirtschaftsrechts wird von der Digitalisierung des Rechts an vielen Stellen erfasst - sowohl in gesetzgeberischer als auch in praktischer Hinsicht. Es ist zu erwarten, dass es bald neue und bessere Softwarelösungen und Onlineplattformen geben wird, die mehr und frühzeitigere Sanierungschancen ermöglichen. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, auch die Gesetze zu modernisieren und die digitale Restrukturierungsarchitektur zu verbessern. Online einsehbare öffentliche Insolvenzverfahren und Gläubigerverzeichnisse wie seit Jahren in den USA üblich können die Selbstorganisation der Insolvenzgläubiger und deren frühzeitige und breite Vertretung in Gläubigerausschüssen erleichtern und den - wirtschaftspolitisch durchaus wünschenswerten - Handel mit notleidenden Darlehen effizienter machen – selbstverständlich unter Wahrung des Datenschutzes.

Online-Gläubigerversammlungen würden echte Gläubigergleichbehandlung und -demokratie und eine effektive und schnellere Kontrolle von Insolvenzverwaltern und Insolvenzgerichten ermöglichen. Auch die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts wird hoffentlich neuartige und schnelle Restrukturierungen ermöglichen. Bei all diesen Entwicklungen, so begrüßenswert sie auch sein mögen, ist zu hoffen, dass der Gesetzgeber dabei immer die Stärkung und Sicherung und nicht den Abbau der Rechtstaatlichkeit für alle Beteiligen bezweckt und tatsächlich gewährt.

Brägelmann

 

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