Was ist Legal Design und warum sollte es uns interessieren?
Worum geht´s bei Legal Design?
Fangen wir an mit einer Begriffsklärung: Legal Design bezeichnet die Anwendung von Methoden des Design Thinking auf juristische Sachverhalte wie z.B. den Entwurf von Verträgen oder Regelwerken. Design Thinking, auch Design Doing oder schlicht Design genannt, beschreibt bestimmte Methoden für die Entwicklung von Dienstleistungen oder Produkten. Diese Methoden zeichnen sich zum einen dadurch aus, dass sie stark auf die Perspektive der Anwender der Dienstleistungen oder Produkte fokussiert sind und zum anderen durch Kollaboration in multidisziplinär zusammengesetzten Gruppen. Design in dieser Bedeutung ist eine Arbeitsmetode und sollte nicht mit dem verwechselt werden, was wir umgangssprachlich als Design bezeichnen, also das Aussehen von Espressomaschinen, Autos oder Briefköpfen (hier wird besser von Produktdesign oder grafischem Design gesprochen).
Warum sollten Juristen sich mit Legal Design beschäftigen?
Was bringt es uns Juristen, wenn wir uns mit Legal Design beschäftigen? Oder negativ formuliert: ist Legal Design die neueste Masche, die schon in der nächsten Saison wieder verflogen sein wird? Die Antwort ist ein klares Nein, denn Legal Design nützt uns eine ganze Menge. Zum einen erzielt man mit der Methode beeindruckende Ergebnisse, z.B. in Form von juristischer Information, die verstanden und befolgt wird, dadurch Rechtsfrieden schafft und ihren Zweck in unserer Rechtsordnung erfüllt, statt nur weggeklickt oder weggeworfen zu werden. Dazu gleich ein paar gelungene Beispiele. Zum anderen können wir durch unsere Teilnahme an Legal Design-Arbeitsprozessen Fähigkeiten trainieren, die für unseren Beruf mindestens so wichtig sind wie die scharfe juristische Analyse, die aber in unserem Arbeitsalltag und unserer Ausbildung viel zu kurz kommen. Dazu mehr in Teil 2 dieses Artikels.
Gelungene Beispiele für Legal Design
Es gibt inzwischen zahlreiche Beispiele für gelungene Ergebnisse von Legal Designprozessen. Diese Ergebnisse der „ersten Generation” beziehen sich hauptsächlich auf die Herausforderung, juristische Informationen wie z.B. Verträge, Regelwerke oder die Abläufe von Rechtsstreitigkeiten für die jeweilige Zielgruppe verständlich zu machen. Dies spielt v.a. für die Regeltreue (Compliance) durch die jeweilige Zielgruppe eine große Rolle. Es berührt aber auch die immer wichtiger werdende Frage, wie Unternehmen von ihren Kunden wahrgenommen werden wollen: Wer will heute noch Geschäfte mit einer Firma machen, die ihren Kunden, seien es Verbraucher oder Unternehmen, seitenweise unverständliches juristisches „Kauderwelsch“ zumutet? AGB-Texte und Datenschutzpolicies als vertrauensbildende Maßnahmen und Wettbewerbsvorteil, wer hätte das gedacht.
Hier ein paar Beispiele, klicken Sie auf die Links und machen Sie sich selbst ein Bild:
- Die Datenschutzpolicy des britischen Dienstleisters für Vertragsmanagement Juro ist ein echtes Vorbild: https://juro.com/policy.html. Sie zeichnet sich durch klare Sprache, übersichtliche Struktur und den Einsatz visueller Hilfsmittel aus. Schauen Sie sich die Policy aus unterschiedlichen Perspektiven an, indem Sie auf “Open all” und “Close all” klicken. Wenn Sie ganz unten auf der Seite rechts auf “Privacy” klicken, sehen Sie die Zusammenfassung “Your privacy at a glance”. So sieht gesetzeskonforme Datenschutzinformation aus. Denn laut Art. 12 der Datenschutz-Grundverordnung ist Transparenz sowie eine klare und allgemeinverständliche Sprache vorgeschrieben.
- Das interaktive Flussdiagramm über den Ablauf von Schiedsverfahren des Finnischen Instituts für Schiedsgerichtsbarkeit hat in der Fachwelt viel Anerkennung bekommen. Machen Sie sich selbst ein Bild über das Ergebnis: https://arbitration.fi/arbitration/fai-arbitration-process/. Dieses interaktive Werkzeug ist das Ergebnis eines Designprozesses, welcher die Perspektiven von Anwendern wie z.B. Geschäftsleuten, Anwälten und Studierenden berücksichtigt. Mehre Prototypen wurden mit Anwendern getestet. Das Flussdiagramm informiert über wichtige Eckpunkte des Schiedsverfahrens wie z.B. Zeitrahmen, Kosten und anwendbares Recht.
- Die Urheberrechtslizenzen der sogenannten Creative Commons müssen für drei Zielgruppen mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen verständlich sein und existieren daher in drei verschiedenen Versionen: in der exakten aber schwer verständlichen Sprache der Juristen, in einer für Computerprogramme lesbaren Sprache sowie in allgemein verständlicher Sprache. Der Umfang und die Beschränkungen der verschiedenen Lizenzen werden außerdem durch Bildsymbole kenntlich gemacht, wie Sie hier sehen können https://creativecommons.org/licenses/?lang=de. Anwendern, die dennoch unsicher sind, hilft ein interaktives Lizenzauswahlwerkzeug weiter. Die Creative Commons Lizenzen sind inzwischen weit verbreitet. Besonders häufig werden sie auf Wikimedia Commons eingesetzt, wo sie mit weiteren visuellen Hilfsmitteln erläutert werden, siehe https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:Licensing.
- Das Landgericht (tingsrätt) in Helsingborg in Schweden hat im März 2019 eine dreitägigen Workshop zu Legal Design unter dem Titel LegalTech+Design @The District Court of Helsingborg durchgeführt, die in der schwedischen Juristenwelt aufmerksam verfolgt wurde (Pressemitteilung: http://www.helsingborgstingsratt.domstol.se/Om-tingsratten/Nyheter-och-pressmeddelanden/LegalTechDesign-The-District-Court-of-Helsingborg-6-8-March-2019/) . Unter den Teilnehmern waren Vertreter des Landgerichts, der Gerichtsvollzieherbehörde, von Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafvollzugsbehörden sowie Rechtsanwälte und Rechtswissenschaftler. Dabei wurden insgesamt neun Ideen für das Gericht der Zukunft entwickelt. Dazu gehörte u.a. die Idee eines digitalen Informationssystems für Beschuldigte, in das Informationen und Dokumente von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht sowie Strafvollzugs- und Gerichtsvollzieherbehörde einfließen sollen. Für Beschuldigte und ggf. ihre Anwälte wäre damit jederzeit erkennbar, in welchem Stadium sich ein Verfahren befindet, welche Termine und Vorladungen anstehen und wie diese mit z.B. Dolmetschern koordiniert werden können, welche Bußgeldbeträge wann zu bezahlen sind usw. (Das Video mit der Präsentation der neun Ideen ist allerdings auf Schwedisch und ungeschnitten, so dass ich es hier nicht verlinke.)
- Ich weiß auch von mindestens einem Team von Unternehmensjuristen, die ihrem Unternehmen einen großen Dienst erwiesen haben, indem sie Musterverträge des Unternehmens einem Legal Designprozess unterzogen. Dabei wurden die Anwender des jeweiligen Mustervertrags und andere Interessenten interviewt. Aus einem 40-seitigen “Monstervertrag”, den niemand gerne in die Hand nahm (und der vermutlich kaum gelesen oder genutzt wurde) wurde ein handlicher Mustervertrag von 12 lesbaren Seiten, der sich auf die Klauseln beschränkte, die das Unternehmen auch tatsächlich brauchte.
Im zweiten Teil dieses Artikels geht es um diejenigen Fähigkeiten, die Juristinnen und Juristen durch die aktive Teilnahme an Legal Designprozessen entwickeln und trainieren können.