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Beitrags Sprache: Deutsch
Unter-Überschrift: Skizze einer schwierigen Beziehung
Lesezeit 15 Min.
Beitrags Kategorie: Legal Tech
Beitrags Art: Wissenschaftlicher Artikel
Farbe: Blau
Markus Hartung
Rechtsanwalt; Gründer und Senior Fellow am Bucerius Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School; Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins

“New technologies
often have a way of
making old laws seem obsolete”
[1][2]


 

 

 

Einführung

Das anwaltliche Berufsrecht, also die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) stammt im Wesentlichen aus dem Jahr 1994. Das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) stammt aus dem Jahr 2007, hat aber mit dem Rechtsberatungsgesetz einen Vorläufer, der noch viel älter ist. Wenn man sich also allein das Alter der Vorschriften ansieht, aus denen sich die Regularien für die anwaltliche Tätigkeit ergeben, mag man sich fragen, ob man mit diesen den Bereich Legal Tech in den Griff bekommt. Denn obwohl Legal Tech insgesamt „sinnvoll“ ist, sowohl aus Sicht des Verbraucherschutzes wie auch aus Sicht von Unternehmensmandanten, bestehen doch erhebliche Hürden für alle Beteiligten. Zunächst einmal ist es überhaupt fraglich, ob technologie- oder softwarebasierte Rechtsdienstleistungen eigentlich zulässig sind. Diese Frage stellt sich nicht nur dann, wenn die Angebote von „Nicht-Anwälten“ unterbreitet werden, sondern auch, wenn softwarebasierte Lösungen von Anwälten angeboten werden. Hier ist nicht ausreichend Platz, um alle Rechtsfragen von Legal Tech erschöpfend zu behandeln, aber wenigstens auf einige Gesichtspunkte soll hingewiesen werden.

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Nicht-anwaltliche (Alternative) Dienstleister

Viele Start-Ups werden zwar von Anwälten initiiert und betrieben, treten jedoch nicht als Anwaltsgesellschaften auf. Das gilt für Plattformen[3], für Dokumenten-Automationsdienstleister[4], für Anbieter automatisierter Rechtsdienstleistungsprodukte[5] und für Ablauf-Automatisierungsdienstleister.[6] Da sie nach außen als „normale“ Gesellschaften auftreten, meist in der Form einer GmbH, und Dienstleistungen anbieten, die man je nach Sichtweise als Rechtsdienstleistungen (und nicht nur als Dienstleistungen im Rechtsmarkt) charakterisieren kann, müssen sie sich auch an den Vorschriften des RDG messen lassen. Nach dem RDG darf man Rechtsdienstleistungen nur anbieten, wenn man eine Erlaubnis dazu hat. Rechtsanwälte haben eine solche Erlaubnis nach der BRAO, wenn sie als Rechtsanwälte auftreten; betreiben sie hingegen Gesellschaften, die keine Rechtsanwaltsgesellschaften z.B. nach den §§ 59c ff. BRAO sind, bedürfen sie wie alle anderen einer solchen Genehmigung. Viele Start-Ups werden zwar von Anwälten initiiert und betrieben, treten jedoch nicht als Anwaltsgesellschaften auf. Das gilt für Plattformen , für Dokumenten-Automationsdienstleister , für Anbieter automatisierter Rechtsdienstleistungsprodukte und für Ablauf-Automatisierungsdienstleister . Da sie nach außen als „normale“ Gesellschaften auftreten, meist in der Form einer GmbH, und Dienstleistungen anbieten, die man je nach Sichtweise als Rechtsdienstleistungen (und nicht nur als Dienstleistungen im Rechtsmarkt) charakterisieren kann, müssen sie sich auch an den Vorschriften des RDG messen lassen. Nach dem RDG darf man Rechtsdienstleistungen nur anbieten, wenn man eine Erlaubnis dazu hat. Rechtsanwälte haben eine solche Erlaubnis nach der BRAO, wenn sie als Rechtsanwälte auftreten; betreiben sie hingegen Gesellschaften, die keine Rechtsanwaltsgesellschaften z.B. nach den §§ 59c ff. BRAO sind, bedürfen sie wie alle anderen einer solchen Genehmigung.

Ob diese „Alternativen Dienstleister“ Rechtsdienstleistungen anbieten, ist oft streitig und sorgt für Unsicherheit, sowohl bei Betreibern wie bei Investoren. In Deutschland gilt ein, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, sehr weitgehendes Rechtsberatungsmonopol. Rechtsdienstleistungen sind nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 RDG im Gewand der Rechtsprechung des BGH jede konkrete Subsumtion eines Sachverhalts unter die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen, die über eine bloße schematische Anwendung von Rechtsnormen ohne weitere rechtliche Prüfung hinausgeht; ob es sich um eine einfache oder schwierige Rechtsfrage handelt, ist dabei unerheblich.[7]

Das ist wie schon gesagt eine sehr umfassende Definition. Die Geltendmachung von Fluggastentschädigungsansprüchen ist nach Lage der Dinge eine Rechtsdienstleistung, und deshalb hat das Unternehmen Flightright GmbH eine Inkassogenehmigung nach § 10 RDG[8]. Auch die Mietright GmbH, welche die Homepage wenigermiete.de betreibt, hat eine entsprechende Genehmigung.[9] Über die Reichweite der Inkassolizenz und die Frage, was alles zum Inkasso dazugehört, wird allerdings neuerdings gestritten, was hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt wird.[10]

Problematisch kann es hingegen für Plattformen und Outsourcing-Dienstleister, für sogenannte Self Service-Angebote und Chatbots sein. So unterschiedlich diese Unternehmen sind, haben sie eines gemein: für sie gibt es de lege lata nur in wenigen Ausnahmefällen die Möglichkeit, eine Genehmigung zu erhalten. Nach § 10 RDG kann nur für die Bereiche Inkassodienstleistungen, Rentenberatung und Rechtsdienstleistungen im ausländischen Recht eine Erlaubnis erteilt werden, wenn die dafür erforderlichen Voraussetzungen vorliegen. Für andere Rechtsbereiche gilt dies nicht.

Es ist hilfreich, die Unternehmen einmal getrennt voneinander zu betrachten:


Plattformen

Vermittlungsplattformen oder elektronische Marktplätze haben, wenn sie sich auf die bloße Vermittlung beschränken, keinerlei Ärger mit der Kammer zu befürchten, denn das Zusammenbringen von Anwälten und Mandanten ist keine Tätigkeit nach dem RDG. Im Hinblick auf die Vergütung, die Anwälte für die Leistungen der Plattformen bezahlen, befindet man sich immer sehr nah am Provisionsverbot des § 49b Abs. 3 BRAO, doch lässt sich diese Frage seit der ebay-Entscheidung des BVerfG[11] rechtssicher gestalten und bleibt im Moment mal außen vor.

Problematisch nach dem RDG (und dem UWG) wird es dann, wenn die Plattform mehr verspricht, als sie versprechen darf und etwa den Eindruck erweckt, sie selber sei es, die Rechtsdienstleistungen durch angeschlossene Anwälte anbietet, oder wenn sie vor der Weiterleitung einer Nachfrage an einen Anwalt bestimmte Prüfdienste anbietet, etwa bei Kreditwiderrufen oder Kündigungen von Versicherungen. Wenn diese Prüfdienste mehr sind als die bloße Aufnahme von Sachverhaltsdaten, und die Prüfung über eine schematische Anwendung des Rechts hinausgeht, kann eine ungenehmigte Rechtsdienstleistung vorliegen. Gleiches gilt, wenn der Eindruck erweckt wird, die bearbeitenden Anwälte seien keine unabhängig tätigen Anwälte, sondern Anwälte in Diensten der Plattform und es sich daher dabei um eine Dienstleistung der Plattform handele. Das kollidiert mit der ständigen Rechtsprechung des BGH zu diesen Sachverhaltskonstellationen.

Aber es kann auch durchaus problematisch werden, wenn die Vermittlungsplattform selbst keine Rechtsdienstleistungen anbietet, und weiterhin zwischen den Rechtsuchenden und den Anwälten ein unmittelbarer Mandatsvertrag zustande kommt. Wenn nämlich die anbietende Plattform mit den angeschlossenen (selbständigen) Anwälten so eng verbunden ist und es sich bei wertender Betrachtung eben doch nicht um die Vermittlung von selbständigen Rechtsanwälten handelt, sondern um die eigene Erbringung solcher Dienstleistungen durch die Plattform unter Hinzuziehung von Rechtsanwälten als Erfüllungsgehilfen, wäre dies ebenfalls ein Verstoß gegen das RDG - der BGH kennt da kein Pardon.[12] Plattformen haben manchmal eine Tendenz, mehr als die bloße Vermittlung bieten zu wollen, insbesondere wenn sie sich als Newcomer gegenüber den etablierten Plattformen abgrenzen wollen. Aber das ist, wie sich zeigt, riskant.


Vertragsgeneratoren

Self Service-Gesellschaften wie etwa Smartlaw.de oder Janolaw.de sind Anbieter von juristischen Dokumenten, die man sich am Computer selber zusammenstellen kann. Dabei geht es also um deutlich mehr als das bloße Einfügen eines Namens in ein Formular. Vielmehr führt einen die Software durch einen Fragenkatalog, mit dem versucht wird, die Interessenlage des Benutzers möglichst konkret zu erfassen, um ihm am Ende ein weitgehend individualisiertes Dokument zur Verfügung zu stellen. Das kann etwa ein Arbeitsvertrag sein, ein Mietvertrag, eine Patientenverfügung oder ein etwaig anderes Dokument. Die Besonderheit liegt hierbei in der weitgehenden Individualisierung, die aber wiederum nicht so weit geht, dass es ein komplett auf die individuelle Situation des Nutzers abgestimmtes Dokument wäre. Doch der wesentliche Unterschied zu Vertragsformularen, die es im Schreibwarenladen gibt, oder die von Verbänden an ihre Mitglieder ausgegeben werden, liegt darin, dass es eben mehr ist als ein bloßes Formular. Wie weitgehend diese Individualisierung geht, lässt sich von außen meist nicht sicher beurteilen. Ob also Self Service-Angebote z.B. nur zwei Mietvertragsmuster zur Verfügung stellen – nämlich einmal für Mieter, einmal für Vermieter –, oder ob es noch eine Vielzahl weiterer Varianten gibt, deren Kombination letztlich von der Beantwortung der vom System gestellten Fragen abhängt, ist aus Nutzerperspektive nicht unmittelbar erkennbar.

Ob solche Self Services im Ergebnis Rechtsdienstleistungen sind, ist umstritten. Man kann durchaus die Auffassung vertreten, dass diese Services wie Verlagsprodukte zu beurteilen sind, die kommentierte Vertragsmuster anbieten, wobei es die Technik ermöglicht, die Zahl der vorhandenen Muster und Musterkombinationen zu erweitern. Wo befindet sich die Grenze zwischen genehmigungsfreiem Verlagsprodukt und genehmigungspflichtiger Rechtsdienstleistung – einmal unterstellt, solche Services nehmen überhaupt die Hürde der bloßen schematischen Anwendung des Rechts? Remmertz vertritt die Auffassung, dass es sich bei solcher Software um unerlaubte Rechtsdienstleistungen handelt.[13] Ob sich diese Auffassung als haltbar erweist, wird sich zeigen, denn die Argumentation leidet an ihrer Verallgemeinerung: Letzten Endes muss man sich jedes einzelne Angebot sehr genau ansehen, um dann entscheiden zu können, ob es sich um eine Rechtsdienstleistung handelt oder nicht. Eine allgemeine Feststellung ohne Analyse dessen, was solche Programme anbieten, verbietet sich, denn einen Industriestandard gibt es hier nicht. Die Kernfrage ist hier die schematische Anwendung des Rechts.[14] Naturgemäß müssen die Self Service-Angebote mit einer gewissen Standardisierung arbeiten; die Berücksichtigung jeder denkbaren individuellen Sachverhaltskonstellation ist in solchen Systemen nicht vorgesehen. Insofern gehen diese Programme, mögen sie auch noch so beeindruckend sein, bei Licht besehen, oft über eine schematische Anwendung nicht hinaus.


Chatbots

Chatbots schließlich sind hierzulande noch nicht sehr bekannt, doch wird dies in Zukunft nicht so bleiben. Dabei handelt es sich um automatisierte Dialogsysteme, die so programmiert sind, dass sie in einen täuschend echten Dialog mit einem Nutzer treten und ihm Fragen beantworten oder Hilfestellung bei bestimmten Rechtsproblemen anbieten. Soweit ersichtlich, gibt es in Deutschland bislang nur einen Chatbot für die Geltendmachung von Flugentschädigungen; Anbieter ist eine Rechtsanwaltsgesellschaft aus Passau.[15] In England und den USA gibt es bereits eine Reihe dieser Chatbots, für die unterschiedlichsten Rechtsfälle. Der prominenteste Chatbot ist „DoNotPay“ aus England, ein Dialogsystem, das einem bei der Verteidigung gegen Bußgeldbescheide für falsches Parken hilft. Der Erfinder Joshua Browden, ein damals gerade volljähriger junger Mann, hatte der Legende nach dauernd Probleme wegen falschen Parkens und erfand dafür einen Chatbot, der sehr erfolgreich war und den er dann infolge Dritten zur Verfügung stellte. Angeblich sollen mit diesem Chatbot mehr als 160.000 „Tickets“ aus der Welt geschafft worden sein. Inzwischen hat Browden einen weiteren Chatbot entwickelt, der Flüchtlingen hilft, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Ähnliche Ziele verfolgt der Chatbot visabot.com, den zwei junge russische Studenten an der Stanford University programmiert haben und der Einwanderern bei Visaproblemen in den USA hilft.

Das Besondere an Chatbots ist ihre Fähigkeit, einen menschlichen Dialog täuschend echt zu simulieren. Dadurch entsteht beim Nutzer, der z.B. über den Facebook-Messenger oder WhatsApp mit einem Chatbot „kommuniziert“, ein hohes Vertrauen - man könnte tatsächlich vergessen, dass man mit einer Maschine kommuniziert. Insofern ist das Produkt in keinster Weise mit einer bloßen Bildschirmmaske vergleichbar, die gar nicht erst den Eindruck erweckt, als kommuniziere man mit einem Menschen. Chatbots gliedern sich in den Kommunikationsprozess der heutigen Online-Welt nahtlos ein und machen sich zunutze, dass viele Menschen Antworten auf ihre Fragen, welcher Art auch immer, immer zuerst im Internet suchen. Ob auf solchen Plattformen dann ein Mensch oder ein Chatbot mit einem spricht, merkt man nicht.

Die Angebote oder Services solcher Chatbots werden häufig als Rechtsdienstleistung zu qualifizieren sein. Geht es dabei um die Unterstützung bei der Geltendmachung von Forderungen, könnte immerhin eine Genehmigung nach § 10 RDG beantragt werden. Aber bei einem Chatbot gegen Bußgeldbescheide? Oder gegen Mieterhöhungen? Gegen Hartz IV-Bescheide? Oder für Flüchtlinge, um sie durch das Dickicht des Ausländer- und Asylrechts zu lotsen? Als entgeltliche Rechtsdienstleistungen wären sie nicht genehmigungsfähig, weil das RDG solche Dienstleistungen nicht kennt. Als unentgeltliche Rechtsdienstleistungen i.S.v. § 6 Abs. 1 RDG wären sie unter engen Voraussetzungen zulässig.

Aufgrund dieser offensichtlichen Unzulänglichkeiten des RDG fangen BRAK, DAV und andere Verbände gerade an, über eine Anpassung des RDG nachzudenken, mit dem Ziel, durch eine Erweiterung des RDG solche Legal Tech-basierten Angebote zu ermöglichen. Denn der juristische Streit um die rechtliche Einordnung dieser Services ist die eine Sache. Investitions- und Planungssicherheit erfordert aber eine sichere gesetzliche Grundlage.


Zwischenergebnis

Damit kann für nicht-anwaltliche Anbieter solcher Leistungen festgehalten werden, dass das RDG teilweise passt, teilweise aber nicht. Warum nur Inkassogesellschaften als Rechtsdienstleister zugelassen werden können, nicht aber auch andere rechtsdienstleistende Gesellschaften, erschließt sich nicht. Wenn das deshalb geschieht, um solche Leistungen Anwälten vorzubehalten, wäre das verfassungsrechtlich bedenklich, denn das RDG ist in erster Linie ein Verbraucherschutzgesetz, kein Berufsstandsicherungsgesetz.

Andererseits unterliegen nicht-anwaltliche Dienstleister nicht den engen Vorgaben des anwaltlichen Werbe- und Gebührenrechts. Sie können daher professionell wie E-Commerce-Unternehmen agieren und Angebote unterbreiten, die für den Nutzer risikofrei sind: Er zahlt nur im Erfolgsfall.


Legal Tech Angebote durch Anwälte

Anwälte überlegen sich zunehmend, wie sie Legal Tech zur Verbesserung ihrer Dienstleistung und/oder zur Erschließung neuer Geschäftsfelder einsetzen können. Man sollte aber nicht denken, dass dies alles so einfach wäre, ganz im Gegenteil: oftmals passen Anwälte, Legal Tech und Berufsrecht nicht zusammen.


Anwaltliche Legal Tech-Angebote

Oben wurde erwähnt, dass an den Legal Tech-Angeboten das „No win, no fee“-Gebührenmodell so attraktiv ist. Rechtsuchende scheinen mit Legal Tech-Angeboten ohnehin oft das viel attraktivere Hilfsangebot zu verbinden, zum einen wegen der Convenience des Zugangs und der Bedienbarkeit, zum anderen wegen der Risikofreiheit. Anwälte können und dürfen das nicht bieten, denn der Verzicht auf die gesetzlichen Gebühren ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Gleiches gilt für erfolgsbezogene Honorare.

Wenn also Anwälte als solche nicht wie Unternehmer auftreten dürfen und mit den Portalen nicht konkurrieren können: Dürfen sie denn ein entsprechendes Portal gründen, um Kunden zu akquirieren, die dann später Mandanten werden? Auf den ersten Blick erscheint das unbedenklich, denn Anwälte dürfen sich neben ihrem Anwaltsberuf unternehmerisch betätigen, wenn und solange sie sich in den Grenzen des § 14 Nr. 8 BRAO bewegen.

Bedenklich könnte allerdings der Umstand sein, dass ein Anwalt durch eine vorgeschaltete Gesellschaft Dinge anbieten kann, die ihm als Anwalt untersagt sind. So kann die Gesellschaft regelmäßig honorarfreie Beratung anbieten, die dann im Erfolgsfall höher vergütet wird. Genau das soll der Anwalt aber nicht tun dürfen. Bislang gibt es noch keine Entscheidungen in Bezug auf diese Fälle, aber die Parallele zur Beteiligung von Anwälten an Prozessfinanzierern liegt nicht allzu fern, und da wird die Meinung vertreten, dass Anwälten eine solche unternehmerische Tätigkeit nur in engen Grenzen erlaubt ist.[16] Ausdiskutiert ist das alles bislang nicht, jedoch wird die Frage dabei zwingend lauten müssen: Ist es richtig, solche Leistungsangebote von heute und morgen an einer Regulierung zu messen, die von vorgestern ist? Warum dürfen Rechtsdienstleister „mehr“ als Anwälte, wenn es um die Beteiligung am Risiko und damit um die Frage des Werts der Leistung für den Mandanten geht? Das Festhalten am bisherigen Modell, das die Kombination von Anwälten und Geld mit größtem Argwohn betrachtet, erweist sich für die Anwaltschaft als Hemmschuh, der sie zum Misserfolg oder zu waghalsigen Konstruktionen zwingt. Das ist nicht sachgerecht. Es ist auch nicht bloße Theorie, sondern entspricht der Sorge von gut 44% der Anwaltschaft, dass Legal Tech nicht der Anwaltschaft, sondern der nichtanwaltlichen Konkurrenz hilft.[17]


„SmartLaw“ durch Anwälte?

Abgesehen von den oben genannten Konstellationen gibt es auch andere Möglichkeiten für Anwälte, Legal Tech-Lösungen einzubinden. So wäre etwa denkbar, Vertrags- oder sonstige Dokumentenerstellungssysteme als anwaltliche Leistung in der Weise anzubieten, dass Mandanten auf der Anwaltshomepage diesen Service finden und sich Dokumente dort selber zusammenstellen können. Dies kann mit dem Angebot verbunden werden, bei Zweifelsfragen den Kontakt zum Anwalt zu suchen.[18]

Die Erstellung solcher Dokumente gehörte früher (und auch heute noch) zum Kerngeschäft der anwaltlichen Tätigkeit, aber der Erfolg von Unternehmen wie Legalzoom, Smartlaw, Janolaw und anderen zeigt, dass das Angebot individualisierter Standarddokumente für Verbraucher häufig attraktiver ist als das maßgeschneiderte Werk aus der Anwaltsmanufaktur, denn die Smartlaw-Angebote sind bequemer zu bekommen, und sie sind deutlich billiger als ein vom Anwalt erstelltes Dokument. Allerdings gibt es bei den Verträgen aus dem Automaten häufig Zweifelsfragen, und manchmal sieht ein Dokument zwar gut aus, hilft dem Verbraucher aber gerade nicht weiter. Die Mischung solcher Standardangebote aus einer Hand, verbunden mit anwaltlicher Beratung in Zweifelsfällen, wäre eine Lösung, die Verbrauchern entgegenkommt. Das amerikanische Unternehmen Legalzoom bietet diese Kombination bereits an, die anwaltliche Zusatzleistung ist in dem Produktpreis inkludiert. Rechtsuchende brauchen also nicht mehr zu entscheiden, ob Anwalt oder Automat, sondern hätten alles aus einer (anwaltlichen) Hand.

Es ist allerdings noch nicht ausführlich diskutiert worden, ob Anwälte gegen berufsrechtliche Pflichten verstoßen, wenn sie solche Dokumentenerstellungssysteme ohne weitergehende anwaltliche Beratung zur Verfügung stellen, wenn der Mandant also vom Anwalt ein juristisches Dokument erhält, das alleine Ergebnis eines technischen Vorgangs ist, ohne dass der Anwalt das Endprodukt noch einmal überprüft hat.[19] Bislang hat sich nur das Landgericht Berlin in der Online-Scheidung-Entscheidung[20] dazu geäußert, dass Rechtsanwälte sich nicht einfach hinter Sachverhaltserfassungsportalen usw. verstecken dürfen, sondern „bei erkennbarem Beratungsbedarf“ zur umfassenden Beratung verpflichtet sind. Dem lag zugrunde, dass eine Mandantin in einem Internetformular angegeben hatte, auf Unterhalt und Versorgungsausgleichsansprüche verzichten zu wollen. Das Landgericht sah den Anwalt gleichwohl als verpflichtet an, zunächst „zu eruieren, inwieweit Beratungsbedarf besteht“. In dieser Sachverhaltskonstellation erschien das auch, angesichts der weitreichenden Folgen solcher Verzichtserklärungen, vertretbar. Aber gilt das auch bei anderen Rechtsbereichen, etwa bei Arbeitsverträgen, Mietverträgen, Kaufverträgen? Anwälte werden sich sehr genau überlegen müssen, inwieweit sie ausschließlich Produkte ohne anwaltliche Endkontrolle anbieten, denn selbst bei berufsrechtlicher Zulässigkeit kann sich dann die Frage nach der Gewerblichkeit der anwaltlichen Leistung stellen. Der bloße Vertrieb vorgefertigter Textbausteine in einer bestimmten Zusammensetzung, an deren Zustandekommen der Anwalt nicht mehr beteiligt ist, entspricht möglicherweise auch bei großzügiger Auslegung nicht mehr der freiberuflichen anwaltlichen Tätigkeit.

Auch versicherungstechnisch ist die Frage ungeklärt, ob eine solche Tätigkeit unter den Haftpflichtschutz fällt, denn die Allgemeinen Versicherungsbedingungen stellen auf die berufliche Tätigkeit des Rechtsanwalts ab. Dessen Berufsbild ist aber nicht definiert.[21] Weiterhin: Wenn ein Anwalt mit einem Vertragsgenerator arbeitet, der einen fehlerhaften Vertrag produziert, so dass sich der Fehler in Hunderten, vielleicht von Tausenden Fällen auswirkt: Ist das versichert? Rechtsprechung und Literatur gibt es zu diesen Fragen nicht; Anwälte würden daher mindestens ein erhebliches Risiko eingehen, wenn sie eine solche Geschäftstätigkeit ohne Abstimmung mit ihrem Vermögensschadenshaftpflichtversicherer ausüben würden.


Gemeinsame Angebote

Wenn Anwälte nicht selber softwarebasierte Leistungen anbieten, sondern dies in Kooperation mit Software-Dienstleistern tun, stoßen sie ebenfalls an rechtliche Hürden. Hier taucht ein bekanntes Problem auf, nämlich das der Bietergemeinschaft von Anwälten mit nichtanwaltlichen Kapitalgesellschaften: Es kommt häufig vor, dass in Vergabeverfahren für komplexe Infrastrukturprojekte Rechtsanwälte aufgefordert werden, sich z.B. mit Unternehmensberatungsgesellschaften oder einer der Big4 Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit einem einheitlichen Leistungsangebot zu bewerben.[22] Im Zusammenhang mit Legal Tech kann diese Konstellation bei sogenannten Internal Investigations auftauchen, etwa wenn in einem Unternehmen große Mengen von Dokumenten durch E-Discovery-Software überprüft werden müssen. In diesen Konstellationen stellen sich berufsrechtliche, haftungsrechtliche und versicherungsrechtliche Fragen, denn die auf Zeit angelegte Kooperation in einer Zweckgesellschaft kann einen Verstoß gegen § 59a BRAO darstellen, wenn der Kooperationspartner nicht zu den vereinbaren Berufen gehört.[23] In steuerrechtlicher Hinsicht besteht das Risiko, dass das zusammen mit einer Kapitalgesellschaft abgegebene gemeinsame Leistungsangebot insgesamt als gewerbliche Leistung gewertet wird mit der Folge der Infizierung der übrigen Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit. Dies kann auch dann versicherungsrechtliche Folgen haben, wenn in dem Projekt etwas schiefgeht und sich nicht sicher ermitteln lässt, auf wen das Problem letztlich zurückzuführen ist. Bei einem einheitlichen Leistungsangebot ist das Risiko sehr hoch, dass man das eben nicht trennscharf auseinanderhalten kann. Der Versuch, die Folgen aus dem gemeinsamen Auftreten in einer Projektgesellschaft durch ein gestuftes Auftreten zu vermeiden, etwa mit der Kanzlei als Hauptauftragnehmer und der anderen Gesellschaft als Subunternehmer, hilft dabei nicht weiter: Abgesehen davon, dass Auftraggeber oft auf einem gemeinsamen Auftreten bestehen, bleiben die steuer- und versicherungsrechtlichen Themen bestehen, wenn die Kanzlei als Hauptauftragnehmer auftritt. Ist es umgekehrt, tritt also die Kanzlei in die zweite Reihe, muss sehr genau auf die Vereinbarkeit mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz geachtet werden, wenn der Hauptauftragnehmer keine Rechtsberatungserlaubnis hat.

Darüber hinaus ist es nach derzeitiger Rechtsprechung des BGH nicht zulässig, wenn wirtschaftsberatende Kanzleien für solche Projekte eine weitere Anwaltsgesellschaft gründen, etwa eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, deren Anteile dann von der (häufig als PartG oder LLP verfassten) Kanzlei gehalten werden: Solchen mehrstöckigen Anwaltsgesellschaften hat der BGH unlängst eine Absage erteilt.[24]


Fazit

Legal Tech als Ausdruck der Digitalisierung der anwaltlichen Profession stellt sich im Hinblick auf das Berufsrecht noch als Fremdkörper dar. Technologie schafft in vielen Bereichen Zugang zum Recht, aus denen sich Anwaltschaft und Justiz zurückgezogen haben oder aber die traditionellen Angebote nicht mehr sachgerecht sind. Technologie ist außerdem in der Lage, bestimmte Tätigkeiten schneller und zuverlässiger als Menschen auszuüben, und wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die bislang von Anwälten wahrgenommen wurden, wird dies häufig noch als Bedrohung für die Profession gewertet, auch wenn es sich nur um den Ersatz von nichtanwaltlicher Tätigkeit handelt. Dass man unweigerlich an die industrielle Revolution denkt, an die Erfindung der Webstühle und den Sturm der Ludditen auf die Maschinen, durch die sie ihren Lebensunterhalt gefährdet sahen, bleibt wohl nicht aus. Auch in rechtlicher Hinsicht gerät die traditionelle Anwaltschaft mit ihren häufig altertümlichen Arbeitsweisen mit dem „Kollegen Computer“ aneinander, mit der Folge, dass es eher die nichtanwaltlichen Dienstleister sind, die solche Leistungen letztendlich anbieten und damit sehr erfolgreich sind. Diesen Wettbewerb kann die Anwaltschaft vor dem Hintergrund des heutigen anwaltlichen Berufsrechts nicht gewinnen. Der Anwaltschaft hilft es aber nicht, wenn das Berufsrecht weiterhin versucht, die Profession vor den Unbilden der Zukunft zu „schützen“, denn eins ist klar: Gegen Innovation hilft keine Regulierung, und Fortschritt lässt sich nicht verbieten. Es wäre also gerade im Interesse der Anwaltschaft, wenn sich die Verbände für eine Öffnung und sachgerechte Anpassung des Rechts stark machen würden, um der Anwaltschaft den Weg ins 21. Jahrhundert zu ebnen. 

 

 


[1] Dieser Beitrag ist eine durchgesehene und editierte Version des gleichnamigen Kapitels des Autors in Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech: Die Digitalisierung des Rechtsmarktes, München 2018. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags C. H. Beck. Erste Überlegungen zu diesem Thema hat der Verf. bereits in der Beilage „Innovationen und Legal Tech“ der NJW im Jahr 2017 veröffentlicht, vgl. dort S. 20 f.
[2] Aaron Pressman, FORTUNE Tech: Data Sheet – 29 June 2017, http://fortune.com/2017/06/29/data-sheet-thursday-june-29-2017; ähnlich schon David Runciman: “Technology has the power to make politics seem obsolete. The speed of change leaves government looking slow, cumbersome, unwieldy and often irrelevant”, in The Guardian vom 23.5.2014, https://www.theguardian.com/books/2014/may/23/politics-technology-save-world-david-runciman
[3] z.B. 123recht.net; Michael Friedmann ist Rechtsanwalt und mit seiner Plattform, die seit dem Jahr 2000 besteht, der erfahrenste Legal Tech-Anbieter in Deutschland
[4] z.B. LawLift; die Gründer und geschäftsführenden Gesellschafter Konstantin Bertram und Steffen Bunnenberg sind Rechtsanwälte
[5] z.B. Flightright, der Mitgründer Philipp Kadelbach ist Rechtsanwalt; auch die Gründer von wenigermiete.de, Daniel Halmer und Frederik Gärtner, sind Rechtsanwälte
[6] z.B. BRYTER; der Mitgründer Michael Grupp ist Rechtsanwalt.
[7] Zuletzt BGH v. 14.1.2016 – I ZR 107/14, BeckRS 2016, 10331
[8] Vgl. https://www.flightright.de/impressum
[9] Vgl. https://www.mietright.de/impressum
[10] LG Berlin vom 20.6.2018 - 65 S 70/18, BeckRS 2018, 15712; LG Berlin vom 13.8.2018 - 66 S 18/18, BeckRS 2018, 18018
[11] BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats) vom 19. Februar 2008 – 1 BvR 1886/06, NJW 2008, 1298
[12] BGH vom 29. 7. 2009 - I ZR 166/06 (Finanz-Sanierung), GRUR 2009, 1077; BGH vom 12.11.2015 – I ZR 211/14, NJW 2016, 693; zuletzt BGH vom 7.12.2017 – IX ZR 45/16, NJW 2018, 608
[13] Remmertz, Legal Tech – Rechtliche Beurteilung nach dem RDG, BRAK-Mitt. 2/2017, S. 55 ff. (Remmertz ist Vorsitzender des Ausschusses Rechtsdienstleistungen bei der BRAK); ähnlich Degen/Cramer, Legal Tech: Erbringt ein Generator für Vertragstexte eine Rechtsdienstleistung?, GRUR-Prax 2016, 363 ff.; a.A. Weberstaedt, Online-Rechts-Generatoren als erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung?, AnwBl. 2016, 535 ff.;
[14] Dazu zuletzt BGH v. 14.1.2016 – I ZR 107/14, BeckRS 2016, 10331
[15] RATIS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, vgl. https://ratis.de/chatbot/ (Abfrage am 29.5.2017)
[16] Vgl. zum Stand der Diskussion Hartung/Weberstaedt, Anwaltliche Beteiligung an Prozessfinanzierern, AnwBl. 2015, 840 ff.
[17] Bericht über die Studie des Soldan-Instituts von Marcus Jung im Wirtschaftsteil der FAZ vom 30.5.2017, „Zahl der Anwälte sinkt“
[18] Vgl. dazu die Beispiele von Breidenbach, Landkarten des Rechts – von den Chancen industrieller Rechtsdienstleistungen, in: Der moderne Anwalt, Festschrift für Benno Heussen zum 65. Geburtstag, Köln 2009, S. 39, 39 f.
[19] Bedenken werden z.B. geäußert, wenn Anwälte sich auf Empfehlungen einer Software verlassen, ohne selber noch in der Lage zu sein, diese zu verstehen, vgl. dazu Fries, PayPal Law und Legal Tech – Was macht die Digitalisierung mit dem Privatrecht?, in: NJW 2016, 2860, 2863. Diese Fragen werden uns künftig noch vermehrt beschäftigen, je mehr Anwälte mit Systemen Künstlicher Intelligenz arbeiten und auf deren Ergebnisse vertrauen.
[20] LG Berlin vom 05.06.2014 - 14 O 395/13, BeckRS 2014, 14920
[21] Diller, Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte, 2. Aufl. 2017, § 1 AVB-RZW Rz. 19 ff., danach soll es auf den Schwerpunkt des erteilten Auftrags und auf die Erwartungen eines Mandanten oder Kunden ankommen, ebda. Rz. 26 ff.
[22] Solche Leistungsangebote gelten als Vergaberechtsverstoß, vgl. VK Brandenburg vom 3.9.2014 – VK 14/14, NZBau 2014, 793; vorher schon Hartung/Melchior, Anwälte in Bietergemeinschaften – erlaubt oder verboten?, AnwBl. 2013, 577 ff.
[23] In der Regel handelt es sich bei solchen Zusammenschlüssen um Gesellschaften, nicht um bloße Kooperationen; vgl. zur Abgrenzung Henssler/Prütting-W. Hartung, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 59a Rz. 174 ff.; a.A. Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl. 2009, Rz. 71 Vor § 59a (Zusammenarbeit „von Fall zu Fall“); vgl. auch Michalski/Römermann, Interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten, NJW 1996, 3233 ff.
[24] BGH vom 20.3.2017 – AnwZ (Brfg) 33/16, BeckRS 2017, 107310

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