Während die stetig zunehmende Bedeutung von Legal Tech unter Praktikern schon konsensfähig ist und jüngst auch durch den BGH unterstrichen wurde (BGH, Urteil vom 27.11.2019, Az. VIII ZR 285/18 zum Umfang der Inkassobefugnis), stellt sich die Frage, ob die Rechtspraxis darauf hoffen darf, künftig mit Absolventen arbeiten zu können, die bereits über ein ausgeprägtes digitales Skillset verfügen. Es gilt die Einsicht, dass noch soviel Legal Tech wenig bringt, wenn die Menschen und die Organisationskultur nicht für die technologischen Veränderungen gerüstet sind.
Die Digital Study 2019 befasst sich mit dem menschlichen Aspekt und geht der Frage nach, inwieweit die Juristenausbildung Nachwuchs hervorbringt, der auf eine digitalisierte und technologisierte Rechtspraxis vorbereitet ist. Mit über 2.500 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern - davon über 1.800 Studierende und 750 Referendare - sowie 14 rechtswissenschaftlichen Fakultäten ist die Digital Study 2019 Deutschlands umfassendste Studie zur Digitalisierung in der Juristenausbildung.
Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt des Legal Tech Startups LEX superior, das sich der digitalen Modernisierung der Juristenausbildung widmet, des Bundesverbandes rechtswissenschaftlicher Fachschaften, ELSA Deutschland sowie der LEGAL ®EVOLUTION. Die ausführlichen Ergebnisse der Digital Study 2019 finden sich unter www.lex-superior.com/digital-study.
Mehr Digitalisierung im Jurastudium
Mit Blick auf die Lehrveranstaltungen und die Ausbildungsinhalte zeigt die Studie, dass sich die Studierenden mehr Kenntnisse zu Recht und Digitalisierung wünschen. Dabei steht an erster Stelle der Wunsch nach Wissen zum Recht der Digitalisierung, dicht gefolgt von Legal Tech. Daraus folgt, dass die Studierenden sich der Bedeutung der digitalen Transformation für ihr Berufsleben bewusst sind und entsprechend darauf vorbereitet werden möchten.
Die Frage danach, ob die Studierenden mit der Anzahl der Lehrveranstaltungen an ihrer Fakultät zu Digitalisierung und Recht zufrieden sind, beantworten über 70% negativ. Dagegen findet eine Mehrheit von 57% der Studierenden die bereits angebotenen Lehrveranstaltungen in diesem Bereich qualitativ gut. Diesen Befund dürfen die Fakultäten zum Anlass nehmen, das Lehrangebot zu Digitalisierung und Recht auszubauen.
Ein weiterer Fokus der Studie lag auf den Lehr- und Prüfungsmethoden und insbesondere auf der digitalen Klausur in Studium und Staatsexamen, die schon seit einigen Jahren in der Diskussion steht und zu der bereits erste Pilotprojekte für das zweite Staatsexamen durchgeführt wurden. Eine eher knappe Mehrheit der Studierenden (je nach Hilfsmittel zwischen 55% und 63%) hat sich dafür ausgesprochen, im Studium und dem Ersten Staatsexamen Klausuren am Computer verfassen zu dürfen und dabei digitale Gesetzessammlungen sowie juristische Datenbanken nutzen zu können. Dass dieser Wunsch nach mehr Praxisnähe und damit praxisgerechteren Kompetenzen nicht ausgeprägter ausfällt, mag für Verwunderung sorgen. Das Ergebnis wird aber verständlich, wenn man bedenkt, dass die Studierenden noch kein analoges, handschriftliches Staatsexamen durchlebt haben (dazu auch der deutlich klarer geäußerte Wunsch der Referendare, siehe unten).
Die teilnehmenden juristischen Fakultäten stehen dem Verfassen der Klausur am Computer und der Nutzung digitaler Gesetzessammlungen sehr aufgeschlossen gegenüber; nicht aber der Recherche in juristischen Datenbanken oder gar einem freien Internetzugang. In einer digitalen Klausur sehen sie die Chance Genderdiskriminierung zu vermeiden, mehr Praxisnähe zu vermitteln, mehr Komfort und Sicherheit bei der Korrektur zu erzielen sowie langfristig einen umweltbewussten Prüfungsbetrieb zu gewährleisten. Als Risiken sehen sie Täuschungsmöglichkeiten, den hohen finanziellen und organisatorischen Aufwand und auch den Verlust der Kulturtechnik Handschrift.
Digitalisierung in der Referendarausbildung
Auch die befragten Referendare wünschen sich mehr Wissen zu Recht und Digitalisierung. Eine große Mehrheit ist der Auffassung, dass das “Recht der Digitalisierung” (81%) und “Legal Tech” (74%) Gegenstand von Ausbildungsveranstaltungen im Referendariat sein sollen. Es wird deutlich, dass die Referendare den praktischen Stellenwert dieser Themen für ihre berufliche Zukunft erkennen. Besonders positiv in diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass das Land Baden-Württemberg im Frühjahr diesen Jahres die “zunehmende Bedeutung der Digitalisierung” in die Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung aufgenommen hat. Am 25. November 2019 ließ das Land den Worten dann bereits Taten folgen und bot am Landgericht Heidelberg Deutschlands erste Zusatzqualifikation in “Legal Tech” für Referendare an.
Mit großer Mehrheit positiv sehen die Referendare das bestehende E-Learning Angebot, das in der Mehrheit der Bundesländer als “ELAN REF” den Referendaren zur Verfügung steht. 85% der Referendare finden digitale Lernprogramme hilfreich und sogar 89% sind der Auffassung, dass das existierende Angebot weiter ausgebaut werden soll.
Hinsichtlich einer digitalen Prüfung möchten 76% der Referendare Examensklausuren am Computer verfassen können. Auch die Verwendung digitaler Gesetzessammlungen (55%) und Recherchemöglichkeiten in juristischen Datenbanken (63%) wird eher befürwortet. Hier zeigt sich, dass Juristen in Ausbildung verstärkt die Tastatur dem Füller vorziehen, wenn sie bereits die Erfahrung eines handschriftlichen Staatsexamens gemacht haben.
Auszeichnungen für digitale Champions
Die Digital Study nimmt die Studienerkenntnisse zum Anlass, Organisationen und Initiativen mit Digitalisierungspreisen auszuzeichnen, die sich in ihren Bemühungen um mehr Digitalisierung in der Juristenausbildung und damit um eine modernere und zeitgemäßere Ausbildung insgesamt besonders hervorgetan haben. Die Preisträger der Digital Study 2019 sind:
Kategorie | Preisträger |
Bestes Lehrangebot zu Recht und Digitalisierung | Humboldt-Universität Berlin |
Bestes E-Learning im Jurastudium | Westfälische Wilhelms-Universität Münster |
Bester Zugang zu Lernmaterial | Ludwig-Maximilians-Universität München |
Bestes Angebot für Doktoranden | Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg |
Innovationspreis | Bucerius Law School |
E-Learning im Referendariat | ELAN REF |
Digitale Vorreiter | Die studentischen Initiativen: ML Tech (München), Legal Tech Lab (Frankfurt a.M.), recode.law (Münster). |
Außerdem wurde auf Grundlage der recherchierten und erhobenen Daten, sowie der Antworten der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer ein Digitalisierungsindex für juristische Fakultäten ermittelt, der Aufschluss über den Digitalisierungsstand hinsichtlich des gesamten Studien- und Lehrangebots gibt. Auf den ersten 10 Plätzen des Index befinden sich:
Index-Platzierung | Preisträger |
1 | Humboldt-Universität Berlin |
2 | Ludwig-Maximilians-Universität München |
3 | Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg |
4 | Albert-Ludwigs-Universität Freiburg |
5 | Universität Bremen |
6 | Bucerius Law School |
7 | Universität Hamburg |
8 | Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover |
9 | Universität Potsdam |
10 |
Freie Universität Berlin |
Digital Study 2020
Mit der Digital Study 2019 wurde ein erster wichtiger Aufschlag gemacht, den Stand der Digitalisierung in der Juristenausbildung in Deutschland unter Einbeziehung der Studierenden und Referendare abzubilden und aufzuzeigen, welche Veränderungen seitens der Auszubildenden gewünscht sind. Die Digitalisierungsstudie soll Entscheidungsträgern und anderen Stakeholdern als inhaltliche Referenz, Orientierung und Inspiration für eigene Ausbildungsaktivitäten dienen.
Im nächsten Jahr heißt es dann Digital Study 2020. Die Digitalisierungsstudie ist als Langzeitstudie konzipiert und angelegt. Sie soll gewährleisten, dass die juristische Ausbildungslandschaft systematisch und kontinuierlich über die Digitalisierung in Jurastudium und Rechtsreferendariat auf dem Laufenden gehalten wird und damit einen Beitrag zu einer gelingenden digitalen Modernisierung der Juristenausbildung leisten.